Talks Vivien Grabowski (Köln) - I grew up with dinosaurs. Bild- und Zeitproduktionen in New Scenarios »Jurassic Paint« Eva Kernbauer (Wien)- Die Befreiung von der Zeit: Kunst, Politik, Anachronie Sarah Kolb (Wien/Linz) - Das Bild als ›Quellpunkt der Poesie‹. Imagination nach Bergson, Duchamp, Benjamin und Lacan Maximilian Lehner (Linz) - Synchronie in Basel Abbas‘ & Ruanne Abou-Rahmes „And yet my mask is powerful“ Mirjam Schaub (Halle/Berlin) - Simultaneität im Sukzessiven: Mit Gilles Deleuzes' Kinobüchern gegen den ‚Präsentismus‘ der Zeitphilosophie
16.25-17.00 Sarah Kolb - Das Bild als ›Quellpunkt der Poesie‹. Imagination nach Bergson, Duchamp, Benjamin und Lacan
17.05-17.40 Mirjam Schaub - Simultaneität im Sukzessiven: Mit Gilles Deleuzes' Kinobüchern gegen den ‚Präsentismus‘ der Zeitphilosophie
18.00-18.35 Vivien Grabowski - I grew up with dinosaurs. Bild- und Zeitproduktionen in New Scenarios »Jurassic Paint«
18.40-19.15 Maximilian Lehner - Synchronie in Basel Abbas‘ & Ruanne Abou-Rahmes „And yet my mask is powerful“ 19.20-20.00 Eva Kernbauer - Die Befreiung von der Zeit: Kunst, Politik, Anachronie
Die Bestimmung des Mediums Bild, die Lessing in seinem Laokoon vornimmt, rückt dieses weit weg vom Temporalen: Als Kunst des Raums und gerade nicht als Kunst der Zeit gehört ihr nur ein einziger Augenblick, nicht aber die zeitliche Dauer. An die Stelle einer solchen apodiktischen Bestimmung ist mittlerweile das Bewusstsein eines komplexen Verhältnisses zwischen Bild und Zeit getreten: Disziplinen wie Philosophie, Kunstgeschichte, Bild- und Medienwissenschaft haben sich der Frage nach der Relation von Bild und Temporalität gewidmet.
Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um neue temporale Bezüge in den Medien- und Bildtechnologien und künstlerischen Praktiken der Gegenwart, um eine als »Präsentismus« bezeichnete Verbreiterung der Gegenwart, um Zeitkomplexe oder eine »Postcontemporaneity« widmet sich der Workshop »Time.Image« insbesondere aus kunstwissenschaftlicher und zeitphilosophischer Perspektive den Relationen zwischen Ikonizität und Temporalität:
Wie kann Zeit(-lichkeit) im Bild gefasst werden? Welche Möglichkeiten gibt es, in künstlerischen Arbeiten zeitliche Strukturen zu (re-)präsentieren?
In welcher Weise vermögen es Bilder, Bezüge zu Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem herzustellen und als solche zu markieren?
Wie können sich temporale Strukturen wie Simultaneität, Sukzession, Rhythmik, Dauer oder Asynchronität im Bild zeigen?
Inwieweit sind solche Formen der Repräsentation oder innerbildlichen Logik (kunst-)historisch nachzuvollziehen?
Welche Rolle spielen medientechnologische Gefüge und medienkulturelle Praxen für die Bezüge von Bild und Zeit?
Die Workshop-Beiträge werden in deutscher Sprache gehalten.
Kurzzusammenfassungen
I grew up with dinosaurs. Bild- und Zeitproduktionen in New Scenarios »Jurassic Paint« Vivien Grabowski
»Zwei prähistorische und dennoch widerstandsfähige Spezies« sind es, die die für das Internet konzipierte Ausstellung Jurassic Paint (2015) kombiniert: Malereien und Dinosaurier. Installiert im Saurierpark Kleinwelka finden zwölf in den 2010er Jahren entstandene Malereien verschiedener Künstler*innen neben lebensgroßen Dinosaurierskulpturen Platz. Die Online-Ausstellung, die Fotografien davon zeigt, lässt multiple Zeitbezüge sichtbar werden, die sich weder auf ikonografischer noch auf medialer Ebene restlos einer Zeit zuordnen lassen. In drei exemplarischen Analysen (Barcza, Barsch, Gelber) setzt sich der Vortrag mit den temporalen Bezugnahmen der Bilder auseinander und schlägt vor, die Bilder im engen Sinne als »Szenarios« zu verstehen. Die kunsthistorischen Prätexte, popkulturellen Anleihen und Topoi führen zu Zeit- bzw. Bild-Diskursen des Modernismus, Zeiterfahrungen im 21. Jahrhundert und zur Realität der fiction – über Fontana, Kawara, Rothko zu »Back to the Future« und Netflix.
Die Befreiung von der Zeit: Kunst, Politik, Anachronie Eva Kernbauer
Gerade bezogen auf künstlerische Historiografie hat der Begriff der Anachronie in den letzten Jahren immer wieder Anwendung gefunden. Mit Bezügen zu Rahel Varnhagen, Siegfried Kracauer, Jacques Rancière, Jacques Derrida, Giorgio Agamben und Paolo Virno sowie künstlerischen Arbeiten von Tacita Dean, Yael Bartana und Deimantas Narkevicius untersucht der Vortrag sein ästhetisches wie politisches Potential.Ein Denken in Anachronien, wie es in künstlerischen Arbeiten immer wieder erprobt wird, kann historische Erfahrung als in und außerhalb der Gegenwart zugleich verankert vermitteln, im Sinne nicht-identischer, disjunktiver Temporalität, die die Gegenwart für Veränderung öffnet. Das Anachronische ist damit nicht ahistorisch, sondern macht das geschichtliche Potential von Vorstellungen, Ereignissen und Handlungen erst sichtbar. In diesem Sinne ist Anachronie, wie im Vortrag argumentiert wird, kein ausschließliches Charakteristikum künstlerischer Arbeiten, sondern ein unverzichtbares Element geschichtlichen Denkens.
Das Bild als »Quellpunkt der Poesie«. Imagination nach Bergson, Duchamp, Benjamin und Lacan Sarah Kolb
Mit seinem vielschichtigen künstlerischen Oeuvre hat Marcel Duchamp eine grundlegend neue Perspektive auf das Medium Bild geöffnet und den Kunstdiskurs der letzten hundert Jahre damit maßgeblich geprägt. Nicht nur seine Ready-mades, auch der über Jahrzehnte hinweg entwickelte Werkkomplex zu »Braut« und »Junggesellen« untergraben den Topos des vollendeten Meisterwerks und verweisen im Gegenzug auf den realen Kontext, auf die konkreten Räume und Zeiten, in denen Bilder in Erscheinung treten und in den Augen ihrer Betrachter*innen unter stetigen Transformationen Gestalt annehmen. Im Rückgriff auf die wahrnehmungstheoretischen Schriften Henri Bergsons beruft sich Duchamp auf ein »Primat der Veränderung im Leben«, demzufolge wir niemals ganz im Bilde sein, sondern Bilder mit Walter Benjamin gesprochen bestenfalls mit dem Vermögen belehnen können, »den Blick aufzuschlagen« und so zu einem »Quellpunkt der Poesie« zu werden. Der Ursprung eines Bildes ist demnach kein historischer, sondern vielmehr ein im gegenwärtigen Werden und Vergehen verwirklichter: »Der Ursprung steht im Fluss des Werdens als Strudel und reißt in seine Rhythmik das Entstehungsmaterial hinein.« Duchamps »Braut, von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar« (1915–23/1934) nimmt damit auch jenes Schema des Blicks vorweg, mit dem Jacques Lacan 1964 auf die Unzulänglichkeit perspektivischen Begehrens verweist.
Synchronie in Basel Abbas‘ & Ruanne Abou-Rahmes „And yet my mask is powerful“ Maximilian Lehner
Anhand eines Beispiels des Künstlerduos Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme sowie mehrerer künstlerischer Auseinandersetzungen mit Archiven bzw. der Erstellung von „Gegenarchiven“ werden in diesem Vortrag die von Elizabeth Freeman in den Queer Studies weiterentwickelten Konzepte von Syn- und Anachronie in den Bereich der bildenden Künste übertragen. Das Archiv repräsentiert als Referenzpunkt in Arbeiten von Zineb Sedira, Melik Ohanian und Lara Baladi die Sukzessionslogik gegenüber anderen Möglichkeiten zeitlicher Strukturierung. Abbas‘ und Abou Rahmes Installation „And yet my mask is powerful“ synchronisiert historische, aktuelle und fiktive Objekte und Narrative, visuell ähnlich einem Archiv. Anhand dieser Arbeit lässt sich argumentieren, dass die Ebene der Synchronie – wie von Freeman suggeriert – parallel laufende, nicht einheitliche Narrative sowie Zeitverhältnisse außerhalb einer Sukzessionslogik zulässt.
Simultaneität im Sukzessiven Mit Gilles Deleuzes’ Kinobüchern gegen den ‚Präsentismus‘ der Zeitphilosophie Mirjam Schaub Schuld an der weiterverbreiteten Vorstellung, nur das jeweils Gegenwärtige sei ‘wirklich’, weil allein unmittelbar sinnlich erfahrbar, ist die stillschweigende Übertragung der modallogischen Trias(‘notwendig–zufällig–möglich’)auf die modalzeitliche (vergangen-gegenwärtig-zukünftig) Ebene. Diese Allianz aus Zufälligem und Wirklichen führt zu einem problematischen Präsentismus. Gilles Deleuze löst ihn auf, indem er die Abgeschlossenheit und das sukzessive Nacheinander der Modalzeiten als Vorurteil demaskiert, das sich dem Medium der Sprache verdankt. Er schlägt stattdessen in seinen beiden Kinobüchern (1983 und 1985) vor, mithilfe von divergent inszenierten Bewegtbildern und Tönen, die Zeitlichkeit(en) des Sichtbaren anders als die des Sagbaren zu bestimmen, nämlich als „Modulationen des Realen“, die er als Wirkungen einer produktiven Virtualität begreift, wie die schon Leibniz faszinierte.
Organisation Florian Fischer, Vivien Grabowski and Maximilian Lehner